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Joseph Alois Schumpeter

Bemerkungen über die gegenwärtige Lage,

(Bonn 20. Juli 1931)

 

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 Notiz des Herausgebers

Am 20. Juli 1931 baten die Studenten Schumpeter, er möge zur aktuellen Lage Stellung nehmen. [Am 14. Juli 1931 hatte die deutsche Regierung im Gefolge der Bankenkrise durch Notverordnung für zwei Tage alle Banken geschlossen. Am 20. Juli  1931 begann in London die Sieben-Mächte-Konferenz zur deutschen Wirtschaftslage] Schumpeters entsprechende Bemerkungen sind uns als paginierte m-s. Vortragsmitschrift eines Studenten überliefert. Diese Mitschrift hat Schumpeters Assistent Josef Schmitz 1953 gemeinsam mit weiteren Unterlagen der Universitätsbibliothek Mainz übereignet. Dort habe ich sie 1997 entdeckt.

 

 

Montag, den 20.  Juli 1931

Prof. Schumpeter: Auf Herrn Wiebels Wunsch

Bemerkungen über die gegenwärtige Lage

        Unsre wirtschaftliche Situation hängt sehr weit davon ab, wie weit es Frankreich gelingen wird, seine Kammer in der Hand zu halten. Es ist klar, dass die Verschärfung der politischen Situation eintreten kann aus Dingen, die sachlich betrachtet gar nichts bedeuten, die aber gleichwohl eine große Bedeutung bekommen können, weil von ihnen das Leben der französischen Regierung abhängt. Diese Seite der Sache kann gar nicht von rationalen Gesichtspunkten aus beurteilt werden. Welche Taktik da eingeschlagen wird, ist so abhängig von Temperament und Nerven, dass es gar keinen Zweck hat, dass ich darüber hier vom Katheder etwas sage. Es kommt hinzu, dass man über gewisse Dinge auch gar nichts sagen kann, wenn man nicht im politischen Leben drinsteht. Vieles lässt sich so gar nicht beurteilen, und man sieht erst hinterher, ob ein Erfolg oder Misserfolg in Aussicht stand.
        Als die letzte Notverordnung erlassen war, hatten wir ein rein budgetäres Problem vor uns. Selbstverständlich hatten wir eine Wirtschaftskrise und ein großes Staatsdefizit, und es war vor allem richtig, das Staatsdefizit zu bekämpfen. Ich glaube ja, Deutschland kann sich aus politischen inneren und äußeren Gründen ein Staatsdefizit nicht leisten. Man kann nun über die Maßnahmen der Regierung urteilen, wie man will, die Energie, mit der das Problem angefasst wurde, ist jedenfalls etwas, wozu sich jeder Deutsche nur gratulieren kann. Wir hatten da also die NotVO. und jeder Deutsche hatte das Gefühl, dass damit zunächst ein Sieg errungen und eine weitere NotVO. nicht nötig gewesen wäre, wenn sich die Wirtschaftslage inzwischen gebessert hätte.
        So war die Wirtschaftslage vor einem Monat. Nun passierten verschiedene Dinge. Zunächst der Run auf die Reichsbank. Wie Sie wissen, haben wir seit rund 1925 eine restriktive Kreditpolitik treiben müssen, die wir uns zum Teil dadurch erträglich machten, dass wir lang- und kurzfristige Kredite aufnahmen. Die langfristigen Kredite waren schon Gegenstand kritischer Betrachtung. Und das mit Recht. Das große Argument war, dass langfristige Kredite nicht dazu verwendet werden dürften, Pläne gemeindepolitischer Ausgestaltung zu finanzieren, etc: denn es handelt sich nicht darum, dass Werte überhaupt geschaffen werden, sondern dass marktwirtschaftliche Werte geschaffen werden. In diese Rubrik fallen weder Parks noch Sportanlagen, noch die Errichtung von Wohnhäusern, die ja auch keine Kapitalbildung darstellen, wenn sie nicht privatwirtschaftlich rentabel sind. Die Restriktionspolitik ist geknüpft an den Namen Schacht, der durch seine so energische Haltung sich den Widerstand sozialistischer und kommunaler Kreise zuzog. - Nimmt man einen ausländischen Kredit auf, so erwirbt man damit Guthaben bei ausländischen Banken. Man kann diese Guthaben nun verwenden, indem man Reparationszahlungen, oder indem man Importe damit begleicht. Später trat diese Verwendung jedoch gegen eine andere zurück. Die Kommunen etc., die Anleihen aufnahmen, brauchten keine $, sondern M.[ark]. Die wechselten also ihre $ gegen M.[ark]. Das bewirkte das starke Steigen der Deckungsdevisen bei der Reichsbank. Und dieses wiederum bewirkte, dass mehr Zahlungsmittel in Deutschland zirkulierten, als es sonst der Fall gewesen wäre. Das wiederum hatte zur Folge eine relative Steigerung des Preisniveaus, was wieder sich gegen unsere Handpolitik auswirkte. Außerdem machte es unsre Staatslasten weniger fühlbar, und das ist nicht gut. Man soll fühlen, was man zu tragen hat. Sind das schon Argumente gegen langfristige Kredite, so gibt es noch viel mehr gegen kurzfristige Kredite. Bekam man keine Kredite bei der Reichsbank, so verschaffte man sich die Kredite im Ausland. So sahen auch wirtschaftlich manche Dinge in Deutschland besser aus, als sie waren. Es war aber eine große Gefahr, dass wir eine kurzfristige Verschuldung von 12 Milliarden hatten, was sich in jeder politisch heiklen Situation zeigen konnte. Wenn man nun irgendwelche Vorwürfe machen will, so kann man natürlich unsrer Finanzpolitik den Vorwurf nicht ersparen, dass sie auf diese Situation keine Rücksicht nahm. Denn unsre Geschäftswelt konnte bei den Gegebenheiten nicht anders handeln, als sie handelte. Auch die Banken hatten es nicht an Vorsicht fehlen lassen. Etwa 8 Milliarden kurzfristiger Schulden im Ausland entsprachen 4 Milliarden kurzfristiger Anlagen im Ausland. Nun ist eine 50%ige Deckung der Banken nicht riskant und leichtfertig zu nennen. Was aber unsere Lage auf keinen Fall ertrug, waren politische Erschütterungen.
        Nun hat Frankreich seit Behebung seiner Inflation sich in sehr kostspieliger Weise eine finanzielle Stärke verschafft, die so groß ist, wie die der U. S. A. Man kann natürlich fragen, was Frankreich zu dieser wirklich kostspieligen Politik geführt hat. Es ist da zu sagen, dass Frankreich sich hier eine gleich kostspielige Rüstung zulegte wie auf militärischem Gebiet. Man kann heute feststellen, dass sich diese Politik bewährt hat. Frankreich hat durch seine Kapitalansammlung im allgemeinen und besonders der international verwertbarer Zahlungsmittel und Forderungen sich eine Macht geschaffen, die cum grano salis jede Macht heute auf die Knie zwingen kann, d. h. also alle Staaten mit starkem Anteil am internationalen Verkehr sind heute in der Lage, dass Frankreich sie durch bloße Geltendmachung seine Forderungen in der Hand hält. Nun, das ist eine höchst unsympathische Situation. Es wäre zu fragen, wie Frankreich sich diese Situation schaffen konnte. Es kam zum großen alten Reichtum Frankreichs die Finanzpolitik seit 1926 hinzu. Ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, welche Stärke diese Finanzpolitik mit sich brachte. Sie schaffte ein niedriges Preisniveau, eine Rückkehr der geflüchteten Kapitalien.. So ergab sich einfach der Goldzustrom nach Frankreich, der der Ausfluss einer sehr großen physischen Gesundheit ist. Hätte sich bei uns eine ähnliche Politik ergeben, so wären wir jedenfalls nie so abhängig geworden, wie wir es jetzt durch unsre kurzfristigen Kredite sind. Bei uns sind infolge starrer Preise eben sehr große Gruppen nicht elastisch. So gerieten wir in eine Abhängigkeit, die umso ärgerlicher sein muss, als sie vermeidbar war. Es kann nicht stark genug betont werden, dass sachkundige Finanzpolitik schicksalbestimmend sein kann für ein Volk.
        Die politische Beunruhigung trat ein. Die Guthaben strömten ab, wobei man sich das nicht so vorzustellen hat, als ob irgendeine feindliche Macht sie abberief. Aber in der Wirkung ist es dasselbe. Zunächst gab die Reichsbank die Devisen her, dann standen ihr die 4 Milliarden der Banken zur Verfügung, die auch heute noch nicht erschöpft sind, und dann stand ihr noch einiges zur Verfügung.
        Besonders kritisch wurde die Situation zunächst für unsere aktivste und international angesehenste Bank, die Danatbank, und damit war das Signal gegeben. Eine Rolle spielt dabei auch die Abziehung von der Danatbank im Inlande, die aus anderen Gründen propagiert wurde. Ich sagte, dass die kurzfristigen Kredite in großem Maße nicht zur Finanzierung des Importes nötig waren, sondern zur Finanzierung unsres Geldbedarfs. Wozu ist es denn aber nötig, dass, wenn Schuster und Schneider tauschen, Gold oder eine ausländische Währung da sein muss? Doch nur als Schutzmittel gegen inflationistische Maßnahmen, was der Sinn dieser Gold- und Devisenbestimmung ist. Wenn also, im selben Maße, wie jetzt das Geld abströmt, neues Geld geschaffen würde, so bedeutete das weiter nichts. Das zeigt, dass das Abströmen von ausländischen Guthaben nichts weiter als eine technische Schwierigkeit wäre. Allein es traut ja kein Mensch irgendeiner Instanz unendliche Weisheit und Sicherheit in der Versuchung zu, in der Geldschöpfung innezuhalten. Und wenn man dieser Ansicht ist, so kann ja die Reichsbank unmöglich diese Bahn betreten, weil allgemein Panik und Misstrauen die Folgen wären. Deshalb steht diesem Abschwimmen eines Teils der Basis unsres Zirkulationssystems hier keine Möglichkeit entgegen. Was wir haben, ist eine Deflationskrise. Eine solche Deflation ist aus sehr vielen Gründen ein Malheur, aber noch keine Katastrophe. Diese Deflation äußert sich im Hinaufgehen der Diskontsätze und in einzelnen Fällen in direktem Zahlungsmittelmangel usw. Ein zweites Moment ist, dass sich ein Misstrauen gegen die Mark geltend macht. Nun, das bedeutet gar nichts. Denn wenn keine Inflation getrieben wird, und bis jetzt wird keine getrieben, bezahlt eben jeder Baissier eine sehr hohe Strafe, die ihm herzlich zu gönnen ist. Es bedeutet also nichts, wenn allgemeines Misstrauen die Mark auf Stunden und Tage an ausländischen Börsen zum Sinken bringt. Denn wenn nichts geschieht, um dieses Misstrauen zu rechtfertigen, so sind die Baissiers die beste Hilfstruppe. Jeder Baissier muss ja dann zur Deckung schreiten und damit selbst die Schlinge zuziehen, in die er seinen Kopf gesteckt hat. Und darum ist es richtig, diese Dinge laufen zu lassen, und deshalb ist es falsch, das zu machen was die Regierung mit der Kapitalflucht-Notverordnung gemacht hat.
        Das, was als Nettoresultat sich jetzt ergeben wird, auch wenn wir neue Kredite bekommen, ist eine neue Welle von Arbeitslosigkeit und Bankrotten. Denn das Hinaufgehen der Diskontsätze wird einige Unternehmungen töten, die sich sonst noch hätten halten können. Trotzdem war es weise von der Regierung, zu erklären, dass die Gläubiger der Danatbank entschädigt würden, und wenn die Diskontsätze zunächst scharf heraufgesetzt wurden. Und es war gut, sich um Kredit zu bemühen. Doch nun müssen wir die Nerven behalten und unter keinen Umständen Konzessionen machen. Im übrigen dürfen wir keine so populären Maßnahmen treffen wie es die vor einigen Tagen waren. Es ist dann anzunehmen, dass sich die Sache von selbst in einigen Wochen gibt. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Situation überwunden wird ohne soziale Erschütterungen, aber es ist kein Zustand, dass solche Dinge sich überhaupt ereignen können.

 

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Quelle: Bemerkungen über die gegenwärtige Lage, In:  Josef Alois Schumpeter, Kleine Schriften 1906-1934, Universitätsbibliothek Mainz, Rara 40 K 3428 

 

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