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Schumpeters Vernehmung zur Kartellpolitik

 

Copyright © 2002 by Ulrich Hedtke. Alle Rechte vorbehalten

 

 

Bemerkung des Herausgebers

Am 28. September 1929 wurde Schumpeter vom sog. Kartellausschuss der vom Deutschen Reichstag eingerichteten Enquêtekommission "Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft" zum Thema Kartellpolitik vernommen.  Ich veröffentliche den Text nach der offiziellen Publikation des Stenogramms durch den Ausschuss.

 

 

 

Vernehmung des Sachverständigen Schumpeter zur Kartellpolitik

 

Sachverständiger Dr. Schumpeter: Nach wissenschaftlicher Lehre gibt es Fälle, bei denen ein Eingriff in die Preisbildung eines Monopols, also auch eines Kartells oder einer Gewerkschaft, dem Monopolisten kaum fühlbaren Schaden, den Abnehmern oder Konsumenten aber großen Vorteil bringt. Ferner ist theoretisch nachgewiesen, dass getrennte Monopole an zwei für eine bestimmte Fertigware erforderlichen Produktionsmittel für alle Beteiligten nachteiliger sind als ihre Fusion.
So hat die Wissenschaft in neuerer Zeit noch manche Fälle herausgestellt, die die Zweckmäßigkeit von wirtschaftlichen Eingriffen in die Kartellpreispolitik dartun. Diese Fälle sind aber praktisch völlig irrelevant. Ich kann durchaus die Möglichkeit und Nützlichkeit gewisser Eingriffe als Theoretiker bejahen und als Praktiker verneinen, etwa weil das geeignete Organ zur Durchführung nicht vorhanden ist So hat die Verknüpfung von Gold und Geld rein ökonomisch fast nur Nachteile, und trotzdem kann deren Trennung wegen der Gefahr größerer politischer Willkür währungspolitisch verhängnisvoll sein.
Wenn man von Kartellen spricht, muss man eigentlich sämtliche Monopole und monopoloiden Gebilde einbeziehen. Anderseits können die eigentlichen Kartelle ihrer wirtschaftlichen Natur und Wirkung nach auch bei gleicher Rechtsform tote coelo verschieden sein. Eine Preisvereinbarung z. B. kann entweder lediglich der Preishochhaltung dienen oder aber auch ohne Trust- oder Konzerngründung zwecks Durchführung gewisser Produktionsfortschritte erfolgen.
Vorsitzender: Würden Sie aus den Schwierigkeiten der begrifflichen Abgrenzung von Kartellen und sonstigen monopoloiden Gebilden die wirtschaftspolitische Konsequenz einer erweiterten staatlichen Betrachtung und Einmischung ziehen oder aber, um für die unter Umständen volkswirtschaftlich weniger nachteiligen Erscheinungsformen kein privilegium odiosum zu schaffen, eine behördliche Erfassung überhaupt ablehnen?
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Da beide Standpunkte im Grunde auf denselben juristischen Tatbestand abgestellt sind, der bei behördlicher Erfassung der Kartelle im juristischen Sinne vermieden werden würde, müsste für die Abgrenzung ein wirtschaftliches Kriterium gefunden werden. Das ist aber sehr schwierig und setzt so große Vollmachten bei den betrauten Organen voraus, dass daraus große Bedenken erwachsen. Bekanntlich ist der Monopolpreis bei gleicher Produktionsmethode stets höher, bei Realisierung eines Produktionsfortschrittes dagegen niedriger als der Konkurrenzpreis, wenn dieser auf der alten Produktionsmethode basiert. Da nun ebensogut das Kartell Mittel eines Produktionsfortschrittes bzw. einer Produktionsänderung wie umgekehrt der Konzern nur Mittel bloßer Preishaltung sein kann, hat ein fester Standpunkt für oder wider die Kartelle gar keinen Sinn. In einer deutschen Industrie z. B., die zahllose Artikel herstellt, vollzog sich vor kurzem für einen Artikel ein Produktionsfortschritt, der bei Dutzenden von Unternehmen vorgenommen wurde und große Kapitalinvestitionen erforderte, ohne dass der Artikel zu einem kostendeckenden Preis abgesetzt werden konnte: Einer der seltenen Fälle volkwirtschaftlicher Verschwendung, denn statt der bestehenden 20 bis 30 hätten bei der neuen Methode 3 bis 4 Betriebe für die Gesamtproduktion ausgereicht.
Vorsitzender: Dieser Fall ist wohl sogar häufiger als man denkt.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Gewiss, aber noch häufiger werden die Interessenten ihren Zusammenschluss mit diesem Tatbestand begründen, auch wenn er gar nicht vorliegt.
Vorsitzender: Das mag sein. Aber in den stark maschinell bedingten Industrien ist oft mit Rücksicht auf die fixen Kosten und die Produktionstechnik die Rentabilitätsmöglichkeit erst nach Erreichung eines bestimmten Produktionsumfanges gegeben.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Die Möglichkeit regressiver Kosten werden natürlich auch viele weniger dazu geeignete Unternehmungen auszunutzen versuchen, so dass die Auswahl der besten Produktionsstätten nicht ohne volkswirtschaftliche Opfer abgehen wird.
Vorsitzender: ... sofern sie nicht kartelliert sind.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Doch diesen Fall meinte ich nicht, sondern die Preisvereinbarung einer Industrie, deren Profite Außenseiter heranlockt, die zum Zusammenbruch des Kartells führen. Da der Produktionsapparat nun künstlich ausgedehnt worden ist und keiner recht existieren kann, erfolgt eine neue Kartellierung, die abermals durch das Auftreten von Außenseitern gesprengt wird. Hier wird also der monopolistische Zusammenschluss zu einem Unfug, so dass eine einheitliche Behandlung der Kartelle der Praxis eines Arztes gliche, der ohne Rücksicht auf die Krankheit immer Antipyrin verordnet.
Eine besondere Kartellpolitik, und zwar im Sinne einer allgemeinen Monopolpolitik erscheint mir nicht möglich wegen der in einem Falle vorteilhaften, im anderen Falle nachteiligen Wirkung der Monopolmaßnahmen. Aber auch eine differenzierte Behandlung hat wegen der Schwierigkeit, das Organ zu schaffen, seine größten Bedenken.
Restriktive und konstruktive Kartellpolitik
Vorsitzender: Sie würden also im Moment eine restriktive Politik des Staates in Erwägung ziehen? (Wird bejaht ) Demgegenüber ist von wissenschaftlicher Seite die staatliche Beobachtung mit anschließender Förderung oder Restriktion entsprechend der wirtschaftspolitischen Zweckmäßigkeit gefordert worden.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Schon die Restriktion stößt auf die Schwierigkeit richtiger Interpretation eines Tatbestandes, namentlich wenn dieser der schlagwortsüchtigen Öffentlichkeit vorliegt. Würde bei der Möglichkeit der Restriktion nicht jeder Abnehmer gegen jede auch noch so gerechtfertigte Preiserhöhung Sturm laufen?
Vorsitzender: Nicht jeder, wohl aber der in einem vinkulierten Verhältnis zum Produzenten stehende Abnehmer, z. B. der Großhändler, hat an stabilen Preisen ein Interesse, weil er sein eigenes Preisniveau für die Weitergabe kartellmäßig statuiert.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Solch Großhändler hat nur eine Agentenstellung. Aber auch der produktive Konsument, z. B. der Maschinenfabrikant, begeistert sich für Staatseingriffe, wenn sie gegen das Eisenkartell gehen. Der Sturm geht über die Abgeordneten und den Minister bis zu dem zuständigen Organ, das mit dem berüchtigten und berühmten Wort: "Was ich tue, mag zwar Unsinn sein, es ist aber politisch nötig" seine Entscheidungen fällt und damit die deutsche Wirtschaft ruiniert. Wenn die Politik nun gar noch "konstruktiv" würde, läge darin die Notwendigkeit weiterer Amtsstellen, in deren Umkreis jede politische Richtung vertreten sein will.
Vorsitzender: Gegen diese Förderung ist auch die für den Staat entstehende Verantwortung geltend gemacht worden, die sich z. B. durch Außenseiterzwang und ständige Beobachtung der Entwicklung ergäbe.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Die Gefahr, ins Uferlose zu geraten, besteht für den Staat in allen Fällen wirtschaftlichen Eingreifens.
Vorsitzender: Wie beurteilen Sie den Vorschlag, zwecks parteipolitisch unabhängiger und pfleglicher Behandlung der Monopolfrage ein Kartellamt mit höheren, gleich Richtern unabsetzbaren Beamten zu schaffen?
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Ich unterscheide auch hier das praktisch Erreichbare vom theoretisch Möglichen. Erstens würden zwar die Kosten eines solchen Amtes unmittelbar nicht hoch sein, mittelbar aber in die Millionen gehen. Ferner wäre zwar ein sachverständiges Gremium an sich sehr schön, die Analogie mit dem Reichsgericht liegt nahe, aber bei aller richterähnlichen Unabhängigkeitserklärung der Kartellamtsleiter würden diese doch nicht die den Menschen seit Jahrhunderten anerzogene Autorität den Richterstandes genießen, weil eben bei der Besetzung reiner Verwaltungsstellen die Parteizugehörigkeit eine entscheidende Rolle spielt und eine Garantie für sachlich richtige Auswahl der Funktionäre nicht gegeben werden kann. Man sollte auch erst nach den geeigneten Fachleuten Umschau halten, ehe man überhaupt den Gedanken einer Amtsgründung erwägt. Welche Persönlichkeiten kämen in Betracht? Am ehesten die Politiker. Der Wirtschaftspraktiker ist in der Regel schon über Gebühr mit zeitraubenden und verantwortungsvollen Pflichten belastet. Der wissenschaftliche Volkswirt aber lebt in seinen Problemen und kann nicht beliebig einer von außen an ihn herantretenden Aufgabe dienen. Deshalb zweifle ich schon aus personellen Gründen den Erfolg eines solchen Amtes an.
Vorsitzender: Sachlich gesehen ist ein selbständiges Kartellamt mit dem Hinweis auf die notwendige Einheitlichkeit der unter parlamentarischem Einfluss stehenden Wirtschaftspolitik des Ministeriums abgelehnt worden. Man dürfe - so sagt man - keinen Fremdkörper schaffen, der gewissermaßen wie ein "rocher de bronce" seine eigene Politik betreibt. Daraus würden sich je nach dem Wandel des wirtschaftspolitischen Geschehens, inauguriert durch die politischen Konstellationen, die schwersten Reibungen zum Schaden der Wirtschaft ergeben.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Der "rocher de bronze" wäre eine gute, unter Umständen auch vom Politiker dankbar empfundene Einrichtung, weil dieser nicht mehr genötigt wäre, in den komplizierten Wirtschaftsfragen, ebensowenig wie in Rechtsfragen, direkt zu handeln. Das ist von fundamentaler Bedeutung und wird m. E. auch zu einer allmählichen Umbildung unserer parlamentarischen Institutionen in Richtung der Übertragung von Aufgaben, die eine bestimmte Denktechnik erfordern, an bestimmte Fachgruppen führen. Die Universalkompetenz des Parlaments ist ja eine Erfindung jener Zeit, die dem Staat nur einen ganz beschränkten Aufgabenkreis zuwies. Greift der Staat darüber hinaus, so wird die politische Führung naturgemäß eine Führung durch Laien.
Kartelle wirken sich in vielen Beziehungen aus. Der Öffentlichkeit fallen besonders die Preisfeststellungen auf, deretwegen ein staatlicher Eingriff um so weniger notwendig erscheint, als dem Kartell eine fest organisierte Gewerkschaft gegenübersteht und ferner das Interesse der Monopolisten am Absatz und an sinkenden Einheitskosten schon eine gewisse Garantie gegen zu große Ausschreitungen bietet. Angesichts der verhältnismäßig schlechten Rentabilität vieler amerikanischer Konzerne sind die angeblich auf Ausbeutung der Öffentlichkeit beruhenden übergroßen Gewinne der Kartelle sehr zweifelhafter Natur. Aber selbst soweit sie vorhanden sind, werden sie nicht konsumiert, sondern investiert. Wären nun, wie Lederer hervorgehoben hat, alle Industrien kartelliert, so würden sich erstens die Gewinne aller gegenseitig aufheben, zweitens aber ergäbe sich aus verstärkter Investition durch den Zwang zur Beschäftigung der ausgedehnten Anlagen ein ähnlicher Zustand wie bei freier Konkurrenz. Trotzdem kommen natürlich auch die eingangs erwähnten Fälle vor, die aber sehr schwer festzustellen und noch schwerer zu behandeln sind. Diese Schwierigkeiten hervorzuheben ist Sache des Wissenschaftlers, über sie sich hinwegzusetzen aber Sache des Politikers.
Vorsitzender: Wegen der Schwierigkeiten und der Unnötigkeit staatlicher Erfassung aller Einzelerscheinungen soll nun die Beschränkung des Staates auf die wesentlichen Dinge einerseits durch die ausschließliche Beachtung der öffentlich in der Presse usw. behandelten Friktionen der Wirtschaft, andererseits durch die Arbeit eines kleinen Sachverständigengremiums erfolgen, der die größten und wichtigsten Ansätze und Entwicklungstendenzen nach dem Grundsatz: minima non curat praetor behandeln soll.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Öffentliche Notschreie sind an sich noch keine Beweise für ihre Berechtigung und für die Notwendigkeit staatlichen Eingriffes. Das Verständnis der modernen Wirtschaftspolitik fängt mit dem Verständnis der Tätigkeit und dem Erfolg der Verbandsyndizi an. Daraus erklären sich die oft irrelevanten Forderungen der einzelnen Interessengruppen und mancher unrationelle Kampf.
Vorsitzender: Der Nachweis der Existenzberechtigung!
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Ja, aber die Öffentlichkeit schreit bei jeder Preiserhöhung eines bedeutenden Konsumartikels z. B. des Bieres, mag sie auch noch so wünschenswert sein. Bei den übrigen Dingen dagegen, mögen die Kartellmaßnahmen im Prinzip noch so verhängnisvoll sein, schweigt die Öffentlichkeit, besonders wenn noch die Interessenten die öffentliche Meinung richtig zu behandeln verstehen. Deshalb wäre noch am ehesten das Herausgreifen gewisser großer Gesichtspunkte zu erwägen.
Vorsitzender: Wie beurteilen Sie die Zollpolitik als Mittel der Kartellpolitik?
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Die alten Kartellbildungen in Europa und auch in Amerika waren Kinder des Schutzzolls, der vielfach zwecks Kartellierungsmöglichkeit gefordert wurde. Mit dem Vordringen der internationalen Kartelle verliert die Zollpolitik mehr und mehr ihre kartellpolitische Bedeutung.
Vorsitzender: Das wird angesichts des Eisenpaktes jedoch von den Interessenten aller beteiligten Nationen nur unter der noch lange nicht gegebenen Voraussetzung eines vollständigen, langfristigen und straffen Zusammenschlusses bejaht, der ein Aufkommen von Außenseitern ausschließt.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Selbstverständlich ist bisher noch der Zoll ein wichtiges Schutzmittel für den Bestand internationaler Vereinbarungen und eine starke Waffe im Quotenkampf. Je mehr aber diese Vereinbarungen namentlich unter dem Druck der überall ähnlichen sozialen Situation fester werden, werden die Zollmauern eine geringere Rolle spielen.
Die Einführung beweglicher Zölle im allgemeinen oder spezieller Gleitzölle wäre nicht zweckmäßig, es sei denn, dass in einem solchen Falle dem Kartellamt ein weitgehender Spielraum gelassen würde. Gleitzölle wären zu mechanisch und bewegliche Zölle in Händen politischer Instanzen höchst bedenklich.
Vorsitzender: Damit würde auch dem Kartellamt eine ungeheuer starke Ingerenz auf die gesamte Handelspolitik möglich sein und die gegen die Spaltung der Wirtschaftspolitik vorgebrachten Argumente verstärken.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Vom Standpunkt einer aus der gegenwärtigen volks- und weltwirtschaftlichen Situation gefolgerten freihändlerischen Einstellung wäre das wohl weniger bedenklich, zumal den lediglich zwecks Preishochhaltung geschaffenen Kartellen Freihandelspolitik sehr gefährlich werden könnte. Für Ausnahmefälle müsste die Möglichkeit helfender Eingriffe, möglicherweise auch in Form von Subventionen bestehen.
Vorsitzender: Inwieweit die Durchführung solcher Ideen unter den heutigen Verhältnissen möglich ist, ist allerdings eine andere Frage.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Früher konnte man grundsätzlich Schutzzöllner oder Freihändler sein, heute aber kann man es nur noch von Fall zu Fall sein, weil wie in der Physiologie auch in der Wirtschaft jeder Krankheitsfall zu verschiedenen praktischen Antworten führt. So wird nach und nach die Handhabung des Zolltarifes und schließlich die ganze Handelspolitik eine dem Parteiinteresse entrückte Fachangelegenheit werden. Die Chance für Eingriffe, deren Voraussetzungen allerdings noch nicht voll gegeben sind, scheint mir in der Zukunft größer zu sein.
Vorsitzender: Da nach Ihren Ausführungen die Friktionen des Wirtschaftslebens das kartellpolitisch Wesentliche nicht automatisch zutage fördern, hat man eine allumfassende Registrierung mit einer generellen Meldepflicht vorgeschlagen, auf Grund deren der Staat die Unterlagen für Eingriffe gewinnen sollte.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Da man auf Grund der heutigen wirtschafts- und betriebswissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden noch nicht in der Lage ist, die Bedeutung der Kartellierung für die Entwicklungschancen jeder einzelnen Industrie exakt abzuschätzen, um z. B. produktionsfortschrittlich orientierte Kartelle gewähren lassen, Preishochhaltungskartelle dagegen reprimieren zu können, würde ein Registerzwang unzweckmäßig sein, besonders, da unsere Kartelle infolge der Reparationsverpflichtungen eine nationale Bedeutung haben. Die Reparationsverpflichtungen kosten eine sichtbare und eine unsichtbare Summe, letztere, weil der erforderliche Mehrexport auch auf die Bedingungen des normalen Exports wirkt. Dem kann eine kartellierte Industrie besser entgegenwirken als eine nichtkartellierte Industrie. Diese Möglichkeiten würden durch ein Kartellregister erschwert.
Vorsitzender: Was würden Sie zwecks Durchleuchtung der Kartellverhältnisse für registerpflichtig ansehen? Interessenten haben bei Beschränkung auf Satzungen, Vorstands- und Mitgliederverzeichnisse die Registrierung bejaht. Andere haben darüber hinaus die Meldung aller Preisbeschlüsse gefordert, mit denen aber die nicht in Form von Beschlüssen, sondern von Verwaltungsakten vorgenommenen Preismaßnahmen natürlicher oder finanziell begründeter Monopole nicht erfasst sind. Ferner wurde auf die negative Preispolitik der Kartelle im Sinne einer auf die Konjunkturschwankungen und den technischen Fortschritt nicht Rücksicht nehmenden Beharrung der Kartellpreise hingewiesen, die gleichfalls aus einem Register nicht ersichtlich sein kann.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Ein auf Satzungen Bedingungen usw. beschränktes Register wäre an sich nicht zwecklos. Ein Einwohnermeldeamt z. B. enthält auch nur dürftige Daten und hat doch für eine Reihe von Verwaltungsakten große Bedeutung. Für den staatlichen Eingriff wären natürlich nicht die Kenntnisse der Beschlüsse usw., nicht einmal die Beobachtungen tatsächlichen Kartellverhaltens ausreichend. Ein starrer Preis kann auch darin begründet liegen, dass man Erhöhungen wegen Widerstandes der Öffentlichkeit nicht zur gegebenen Zeit durchsetzen kann und deshalb auch Preissenkungen, selbst wenn man sie an sich wünschte, vermeiden muss. Auch kann die Stabilität z. B. des Eisenpreises für sehr viele Industrien von größter Bedeutung sein. Ein dritter Grund des starren Preises kann schließlich in schwierigen und darum nicht gern wiederholten Verhandlungen der Kartellmitgliedersammlungen liegen. Jeder dieser Fälle würde ein anderes staatliches Verhalten und deshalb eine grundlegende Kenntnis der ganzen Sachlage erfordern.
Registerpublizität
Vorsitzender: Wie denken Sie über die Publizität den Kartellregisters?
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Als Wissenschaftler würde ich weitestgehende Offenlegung sehr begrüßen. Sie wäre auch unbedenklich, wenn in der Öffentlichkeit die Tendenz der absichtlichen Schikanierung und Bekämpfung der Kartelle nicht bestünde und eine mehr verstehende Würdigung wirtschaftlicher Dinge gegeben wäre. Das sind die Gründe, warum sich die Interessenten nicht gern in die Karten sehen lassen, trotzdem sie meist gar nichts Unkorrektes zu verhüllen haben.
Vorsitzender: In Deutschland wird in solchen Dingen um den Schuldigen gestritten. Mag nun die Schuld bei der unorientierten Masse bzw. Presse oder bei der nicht aufklärend wirkenden Wirtschaft liegen, so muss man, wie hier gesagt wurde, mittels verstärkter Publizität durch dieses Stadium der Unwissenheit erst einmal hindurch, und in die bestehenden Vorurteile Bresche legen. Demgegenüber ist von wissenschaftlicher Seite auf die bereits bestehende Zugänglichkeit der Materialien für den sachkundigen Betrachter hingewiesen worden. Es läge nicht eine unzureichende Publizität, sondern eine Unfähigkeit der Auswertung vor, und es wäre Aufgabe der Wissenschaftler und beteiligten Wirtschaftskreise, die Materialien in einer für die breite Öffentlichkeit verständlicheren und handgreiflicheren Form darzubieten, woraus die Notwendigkeit lediglich einer beschränkten Offenlegung des Kartellregisters geschlossen wird.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Ich bin der letzteren Auffassung. Freilich wird mit der Zeit durch den Fortschritt der Wissenschaft größeres Einvernehmen zu erzielen sein. Unter heutigen Umständen aber könnte das Durchgangsstadium sehr teuer werden. Im allgemeinen ist ja unsere Öffentlichkeit gutmütig und apathisch, aber in Zeiten allgemeiner Aufregung könnten der wirtschaftlichen Entwicklung durch zu weitgehende Publizität Schwierigkeiten gemacht werden die im Gegensatz zu anderen Ländern Deutschland nicht überwindet.
Vorsitzender: Sie würden also nur ein den Behörden zugängliches oder höchstens grundbuchähnliches Kartellregister empfehlen? (Wird bejaht.)
Hat nach Ihren Erfahrungen die deutsche Kartellkontrolle in Verbindung mit dem durch die Kartellverordnung geschaffenen Kündigungsmöglichkeiten und Präventivverboten ungünstig auf die internationale Kartellierung eingewirkt, und zwar dergestalt, dass die Standorte internationaler Kartelle ins Ausland verlegt oder Neugründungen überhaupt erschwert worden sind?
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Ich möchte die so gestellte Frage verneinen. Eine internationale Vereinbarung ist eine so schwierige Sache, dass es bedenklich ist, für ihr evtl. Scheitern ein bestimmtes Moment verantwortlich zu machen. Der Kündigungsparagraph der Kartellverordnung ist gewiss eine von vielen Schwierigkeiten, mit denen die deutschen Kartellvertreter bei internationalen Verhandlungen zu kämpfen haben.
Vorsitzender: Bezüglich der nationalen Kartellierung soll die Kartellverordnung zwar nicht die großen, straff organisierten Verbände, wohl aber die mitgliederreichen Konditionenkartelle der verarbeitenden Industrie, die auf einen stärkeren Organisationszwang angewiesen sind, geschädigt und aufgelockert haben, indem den Mitgliedern eine missbräuchliche Benutzung der gesetzlichen Vorschriften ermöglicht worden ist.
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Das Weiterbestehen der Kartelle ist wohl kein Gegenbeweis gegen die hemmende Wirkung der Kartellverordnung, weil die steuer-, sozial- und wirtschaftspolitische Beängstigung der Industriellen diese stärker zusammendrängt als die Kartellverordnung sie auseinandertreibt. Übrigens erscheint mir die Hemmung nicht durchaus nachteilig zu sein. Dass ein Industrieller aus Konkurrenzgründen kündigt, mag im Einzelfall moralisch nicht sehr schön sein. Aber sehr häufig ist dieses egoistische Vorgehen ein wesentliches Mittel des wirtschaftlichen Fortschrittes durch den wirksamsten Produzenten. So groß die Bedeutung der Kartelle auch für die moderne Wirtschaft sein mag, so ist doch bei einer unentrinnbaren Kartellierung die Gefahr der wirtschaftlichen Versteinerung und Bürokratisierung nicht gering. Man sollte daher auf die in der Kündigungsmöglichkeit liegende "potentielle Konkurrenz" nicht ohne weiteres verzichten.
Vorsitzender: Liegt nicht darin eine geistige Inkongruenz, dass man in der Zeit eines auch staatlich geforderten Kollektivismus ein liberalistisches Element in Form individualistischer Konkurrenz einschaltet?
Sachverständiger Dr. Schumpeter: Liberalistisch wäre ein aktives Vorgehen gegen die Kartelle. Aber von diesem Standpunkt bis zu einer Politik, die die Kartellierung als das Normale und das Losbrechen vom Kartell als etwas betrachtet, was schon eine levis macula involviert, ist ein großer Schritt. Die geistige Inkongruenz ist in einer von Widersprüchen erfüllten und alle Zeichen einer Umbildungsperiode tragenden Zeit vermutlich das Charakteristikum einer richtigen Politik.

 

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Quelle: Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft. Verhandlungen und Berichte des Untersuchungsausschusses für allgemeine Wirtschaftsstruktur. 3. Arbeitsgruppe: Wandlungen in den wirtschaftlichen Organisationsformen. Vierter Teil: Kartellpolitik. Zweiter Abschnitt: Vernehmungen. Berlin 1930, S. 358-366

 

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